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Es hat mich nach Bochum verschlagen und da ich nicht die ganze Zeit nur Currywurst essen kann, habe ich die Möglichkeit genutzt mich mit Jörn de Haen, dessen Leserbrief ich vor einigen Jahren veröffentlichen durfte zu unterhalten.
Jörn ist Psychologe und arbeitet als Therapeut mit Autisten und forscht und diagnostiziert noch dazu. Dementsprechend reden wir über über seine Arbeit, über Therapie und wie so eine Autismusdiagnostik funktioniert.
nachträglicher Hinweis: Das Wort “betroffen” wird in diesem Podcast verwendet, jedoch nicht in seiner emotionalen Bedeutung, sondern im Sinne von “eine Eigenschaft betrifft diese Person, trifft auf sie zu”.
Gesprächsthemen und Links:
- Begrüßung
- Jörns Gastartikel im Realitaetsfilter
- Was macht Jörn eigentlich und wie kam es dazu?
- Autismo
- Die Ausbildungslage und Situation von Unterstützungskräften (FSJler, Schulbegleiter, Integrationshelfer)
- Warum gibt es so wenige Diagnostiker die in der Lage sind, Autismus zu diagnostizieren? (rf005 – Hawk spricht mit Rainer Döhle)
- Wie diagnostiziert man Autismus und ist das schwer?
– ADOS (Englisch)
– ADI-R (Englisch) - Unterschiede zwischen Erwachsenen- und Kinder/Jugend-Diagnostik und wie lang braucht eine gute Diagnose?
- Stationäre Diagnostik, braucht man das?
- Neue Diagnosetechniken
- Neue und alte Autismusursachen
– Autistische Fische - Bielefeld-Verschwörung
- Wofür braucht man eine offizielle Diagnose?
- Welche Formen von Therapie gibt es bei Autismus?
– kontakt-/bezieungsorientierte Ansätze
– führend/trainingsorientierte Ansätze - Welche Vor- und Nachteile bieten diese Ansätze?
- Unter welchen Voraussetzungen ergibt Therapie Sinn?
- Worauf sollte bei der Wahl des Therapeuten geachtet werden?
- Mythen und Klischees zu Autismus
- Bitte um Feedback in den Kommentaren, oder per Mail
- Verabschiedung
Gerade für jemanden wie mich, der sich aktuell im fachärztlichen Diagnoseverfahren befindet, ist eine genauere Erläuterung und Beleuchtung dieses Themas sehr interessant und hilfreich. Sehr gelungen!
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Das Interview war sehr faszinierend und bestätigte vieles, leider. Sogar in Hamburg gibt es extrem wenige niedergelassene Psychiater/Neurologen, die diese anerkannte Diagnose machen und mir ist nur eine Psychologin bekannt, die für Selbstzahler diese aufwändige Diagnose macht.
Ansonsten gibt es eine Autismus-Forschungseinrichtung, wo es lange Wartezeiten gibt.
Und hier die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Diagnose: mir persönlich gibt sie nicht viel, da ich nicht so stark eingeschränkt bin behördliche Hilfen bekommen zu können. Lebe selbständig, hab Frau und zwei Katzen, fahre mein Auto und habe einen Job in der IT. Es wäre nur eine Bestätigung, wobei sie auch wieder hinfällig werden würde, wenn sich die Definitionen ändern, wonach diagnostiziert wurde – ein Beinbruch ist klar definierbar und sichtbar, eine neurologische Erkrankung oder starke Mutation auch, aber diese leichte andersartige Verdrahtung der Asperger-Autisten-Hirne eben ist nicht so eindeutig und das potential zur Fehldiagnose ist hoch (Borderline und andere). Und die Diax als Grundlage zur späteren Therapie wegen Depressionen etc. funktioniert kaum, da es kaum Therapeuten gibt, die einfach Asperger als Ausgangsbasis nehmen, ohne dies als Krankheit weg therapieren zu wollen, sondern der therapeutische Boden ein anderer dann wäre, der Umgang mit mir ein anderer. Ich habe schon einige Therapeuten verschlissen, da ich Psychologie als SI hatte und denen auf Augenhöhe begegnet bin, aber deren Versuche aushebeln konnte, weil auch direkt und frühzeitig die Methode erkannt, wo ich mich einfach nicht ihnen gegenüber so öffnen konnte wie meinem besten Freund oder meiner Frau. Und ich konnte einem nikotinsüchtigen Psychotherapeuten einfach nicht vertrauen! Es war hilfreich mit einer Gesprächstherapeutin zu reden als ich Depressionen hatte, war aber nur ein kleiner Teil der Hilfe, es half einfach mehr, dass meine Frau mir in den hintern trat, dass ich mich noch mehr anstrengen müsse wieder einen Job zu bekommen. Als ich dann den neuen Job hatte, ging es meiner Depression auch entscheident besser, da die Joblosigkeit Ursache meiner Depression war an der Stelle. Und die Therapeutin sah auch mir nicht viel helfen zu können, da ich eben sehr analytisch mit ihr eher wie ein Kollege war als wie ein Klient.
Was mir in dem Interview aufgefallen war: Die Sprache war von den „Betroffenen“! Sorry, ich bin nicht ein Betroffener, es macht micht nicht betroffen Asperger Autist zu sein. Ich bin so und ich bin stolz der Mensch zu sein der ich heute bin. Betroffen sind die Mitmenschen, die ihre Probleme haben mit mir umzugehen, mich zu verstehen. Denen allen würde ich gerne die Literatur von Tony Attwood sehr leidenschaftlich empfehlen zu lesen, sie am liebsten dazu zwingen, denn diese hilft ihnen mich besser zu verstehen! Wir sind weder betroffene noch sind wir behindert oder krank, weil wir Aspies sind – nur schneller noch werden wir psychisch krank durch die Umwelt des Unverstehens und der Vorurteile.
Uns Erwachsene würde es helfen von der Krankenkasse bezahlte Kurse in Rhetorik, Soziales Spiel am Arbeitsplatz, Körpersprache lesen und Mimik/Mikromimik-Lesen und andere zu besuchen. Gerade wenn man nicht so viel Geld hat um solche nötigen Kurse selbst bezahlen zu können. Hilft es hierfür die ärztliche Diagnose zu haben?
Gruß, SiCwan
Hallo und Danke für das Feedback.
Das Thema „geringe Verfügbarkeit von Diagnostikern“, v.a. für Erwachsene, hatten wir ja schon im Interview recht ausführlich. Hinzu kommt, da Sie das Thema „Fehldiagnosen“ ansprechen, der eigentlich simple Aspekt:
„Man sieht nur, was man weiß.“ (Goethe)
Und der gilt – leider – immer in der Diagnostik, übrigens durchaus auch in der somatischen. Nicht alles ist da so eindeutig wie ein gebrochener Knochen, und auch der will erst erkannt sein.
Konkret heißt das: Die Vorerfahrung, aber auch das Haupttätigkeitsfeld des Diagnostikers, dessen Vorwissen und -meinungen etc. bestimmen immer mit, wohin wie aufmerksam geschaut wird. Das lässt sich fortsetzen bishin zur diagnostizierten Person: Auch die entscheidet, was sie in die Diagnostik einbringt, wovon sie berichtet…
Was Ihre Erfahrungen mit Therapien angeht, möchte ich nochmal auf das im Interview Gesagte verweisen: Ob und inwiefern eine Diagnose hilfreich ist, hängt immer auch sehr individuell von der Lebenssituation und den Bedürfnissen der Einzelperson ab. Gleiches gilt für die Frage, ob, und wenn ja, welche Form von, Therapie sinnvoll und hilfreich sein kann. Dabei können durchaus die von Ihnen angesprochenen Inhalte wie nonverbale Kommunikation, soziale „Spiele“ (Smalltalk? Soziale Dynamiken losgelöst von beruflichen Inhalten?) und Ähnliches gehören. Nur gibt es eben auch hier nichts allgemein Richtiges oder Falsches. Ich kenne z.B. sowohl Menschen mit AS, die so etwas üben wollen, als auch solche, die das für sich, ebenso berechtigt, wenig hilfreich fänden, weil es anstrengend bleibt und Aufmerksamkeit kostet, die dann an anderen Stellen fehlt. Ziele und deren Sinnhaftigkeit lassen sich m.E. nur individuell beurteilen.
Generell möchte ich anmerken, dass eine Therapie, in der ich als Klient das Gefühl habe, dass es Versuche gibt, mich gegen meinen Willen zu verbiegen – so dass ich diese dann „aushebeln“ muss – meiner persönlichen Meinung nach nichts bringen kann. Eine Therapie erfordert, zumindest meines Erachtens, zwingend Vertrauen. Deshalb ja auch meine Empfehlung auf Hawk’s Frage hin, an genau dieser „Vertrauensfrage“ festzumachen, ob eine bestimmte Therapie jeweils passend ist.
Jetzt noch zur Frage der „Betroffenen“: Es liegt mir fern, irgendjemandem vorzuschreiben, sich in dem von Ihnen angesprochenen Sinn „betroffen“ zu fühlen. Gemeint war es von mir im Sinne von „diejenigen, auf die ein Merkmal [hier: AS] zutrifft“. Die Frage, ob man sich jeweils persönlich betroffen/behindert/beeinträchtigt/besonders/anders oder sonst-wie fühlt, dürfte wiederum unmöglich allgemeingültig für „die Aspies“ zu beantworten sein, einfach weil es DEN Aspie als „Prototyp“ nicht gibt.
Wenn ich Sie (und auch andere) durch meine Wortwahl gekränkt habe, tut mir das ausdrücklich leid. Ich hoffe aber, meine Erklärung macht verständlich, wie es gemeint war.
In einem Punkt sehe ich das allerdings dann doch ein wenig anders als Sie: Sie schreiben „Betroffen sind die Mitmenschen, die ihre Probleme haben mit mir umzugehen, mich zu verstehen.“
Das finde ich in diesem Sinne genauso unglücklich wie die umgekehrte Behauptung, Menschen mit AS müssten „nur lernen, sich anzupassen“.
Losgelöst von jeglicher Diagnose sind „Schwierigkeiten, sich zu verstehen“ als interaktionelles Problem letztlich wechselseitig. Sie „betreffen“, in dem von Ihnen genutzten, wie auch indem von mir verwendeten Wortsinn, alle an der Interaktion beteiligten Personen, denen ein Erfolg wichtig wäre. Zu ihrer Lösung bedarf es daher dann meist auch der Bereitschaft, zunächst einmal „fehlendes Verstehen“ als Problem anzuerkennen – anstelle von „Böswilligkeit“. Vor diesem Hintergrund ist dann im Idealfall ein wechselseitiges Bemühen um Verständnis und Verständigung möglich, was ich persönlich für erstrebenswerter halte, als ein einseitiges Anpassen, auch über eigene Grenzen hinweg – wie gesagt, unabhängig von jeder Diagnose.
Grüße, Jörn de Haen
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Super Podcast! Wird auch in der Länge nicht langweilig. Hohe Fachlichkeit, viele interessante Informationen – da war ich über den Stau, in dem ich stand, überhaupt nicht unglücklich 🙂